Der Schuppen 9

Eine Geschichte im Herzen des Lübecker Hafens

Schuppen 9 wurde 1906 als typischer Hafenschuppen im historisierenden Industriebaustil der Jahrhundertwende erbaut. Lage und Form dokumentieren im Verbund mit dem nur wenige Meter weiter südlich liegenden, ebenfalls noch aus dieser Zeit erhaltenen Schuppen 6 die erste, eng mit der Altstadt verknüpfte Ausbauphase des Lübeckers Hafens im Industriezeitalter. Beide Gebäude stehen seit 1988 unter Denkmalschutz.

Lösch-und Ladeplatz bei Schuppen 8 & 9 (Foto: Maria Busch 25.10.1935)

Blick in das Innere des Stückgutschuppens für die Stockholm-Linie (Foto:Kripgangs)

Der im Vergleich zum Schuppen 6 etwas breitere, langgestreckte und nach Süden leicht eingezogene Schuppen 9 ist ein zweischiffig gebauter Lagerhallenbau in verbretterter Holzkonstruktion mit Backsteinanbauten im Norden und Süden, Pfahlgründung, flachem Satteldach und Kontoreinbauten. An beiden Frontseiten befinden sich noch die historischen Holz-Rolltore. Im Norden und Süden wurden die Giebelbauten aus Backstein mit hafentypischen Schmuckelementen wie z.B. Ziermauerwerk in Form von Treppenfriesen und Gesimsen versehen, straßenseitig ist ein ursprünglicher Backstein-Mittelgiebel erhalten.

In der Mitte des Gebäudes liegen die großen hölzernen Lagerhallen, die durch Backsteinwände unterbrochen werden und hafenseitig befenstert sind. Die steinernen Kopfseiten, in denen auf der Südseite das Büro von cruise_art liegt, beherbergten früher Büro-, Aufenthalts- und Sanitärräume für Lageraufseher, Lagerarbeiter und Zöllner. Als erster Mieter zog der Lübecker Bauunternehmer W. Torkuhl 1906 in den Schuppen 9 ein. Bis in die 30er Jahre machte die Reederei Svea auf ihrem Weg von und nach Stockholm und Kalmar zum Laden und Löschen ihrer Ladung am Schuppen 9 fest. In den 60er Jahren wurde u. A. eine Graupenmühle im Schuppen betrieben. 1988, als der Schuppen unter Denkmalschutz gestellt wurde, ist als letzter Nutzer der BBN Baustoffhandel Brockmann Nordmark im Grundbuch vermerkt.

Die beiden Schuppen mit den Nummern 6 und 9 sind die letzten beiden von einst neun Kaischuppen am stadtseitigen Ufer der Untertrave. Sie gehören zu den ehemals insgesamt 22 der auf Grundlage des von Wasserbauinspektor und späteren Oberbaudirektors Peter Rehder 1885 veröffentlichten Hafengutachtens bis 1909 neu errichteten, funktional gleichartigen Hafenschuppen. Sie ersetzten an der Untertrave nach und nach die „Schauer“ genannten, oftmals offenen, an die Stadtmauerreste angebauten frühen Hafenschuppen wie etwa die Schauer der Nowgorod-, Stockholm- und Rigafahrer. Einige provisorische Vorläufer der heutigen Schuppentypen bestanden auch aus zweitverwendeten Lazarettbaracken aus der Zeit des deusch-französischen Kriegs von 1870/71, nach dessen Ende der Handelsverkehr neu aufblühte.

Konstruktion und Anordnung der modernen Kaischuppen beruhten auf den neuen Anforderungen des frühindustriellen Hafenumschlagswesens, das in Lübeck um 1850 mit dem Bau der Hafenbahn Einzug hielt. Auf der Mittleren Wallhalbinsel wurde zu dieser Zeit der erste Bahnhof der Stadt errichtet, hier wurden die Hafenbecken für Seeschiffe an die über Land verlaufenden großen Handelsrouten angeschlossen. Die Gleise der alten Hafenbahn findet man noch heute an der Hafenseite vom Schuppen 9. Die Fassade des Schuppens folgt dem Verlauf der Gleisstränge, welche die Transportgüter an die Schuppentore lieferte, um nach Zwischenlagerung praktisch durch den Schuppen hindurch auf die Schiffe verladen zu werden.

Schuppen 9: Handverladung am Ladeplatz der Svea-Dampfer. (Foto: Dörries um 1935)

Mit dem Bau der Eisenbahn mussten die noch aus dem Mittelalter und der Barockzeit stammenden Stadtbefestigungswälle und Bastionen auf der Nördlichen und Mittleren Wallhalbinsel weichen, die dort befindlichen Holzlagerplätze wurden aufgelöst und die letzten Teile der alten Dröge u. das städtische Gießhaus wurden geschleift. Das anfallende Erdreich diente dazu, das Traveufer auf ein einheitliches, mit gemauerten Kaianlagen befestigtes Niveau zu erhöhen und die Dämme für die stadtauswärts führenden Bahntrassen (heute u.a. die Possehl-Straße) aufzuschütten. Das Flussbett der Trave wurde in mehreren Bauphasen verbreitert, begradigt und für die immer größer werdenden Dampfschiffe vertieft. Der Unterlauf der Trave blieb so den immer leistungsfähigeren Dampfschiffen vorbehalten, während der Abschnitt an der Mittleren Wallhalbinsel weiterhin den kleineren Segelschiffen mit weniger Tiefgang diente. Mit der 1891-92 errichteten Drehbrücke wurde die Wallhalbinsel an die stadtseitigen Kais und deren Gleise angebunden.  

Wir bedanken uns für die Unterstützung und die Bereitstellung der Bilder bei der
Hansestadt Lübeck, Bereich Archäologie und Denkmalpflege, Abteilung Denkmalpflege
sowie Herrn Jörg Sellerbeck junior.